Luise Sophie Victorie Henr. Friede. GÜNDERRODE VON

Luise Sophie Victorie Henr. Friede. GÜNDERRODE VON

Eigenschaften

Art Wert Datum Ort Quellenangaben
Name Luise Sophie Victorie Henr. Friede. GÜNDERRODE VON
Religionszugehörigkeit ev

Ereignisse

Art Datum Ort Quellenangaben
Geburt 10. November 1759
Tod 1819 Butzbach nach diesem Ort suchen
Heirat 1778 Graß bei Hungen nach diesem Ort suchen

Ehepartner und Kinder

Heirat Ehepartner Kinder
1778
Graß bei Hungen
Hector Wilhelm GÜNDERRODE VON

Notizen zu dieser Person

Nachrichten der Louise v. Günderode über die Familie v. Graß und den Hof Graß.
Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Bestand O 30 Nr.121
Transkription Jens T. Kaufmann, Braunschweig
Butzbach 22. IX 1818.
Familien Nachrichten
So viele Mühe sich auch mein Grosoheim der General von Graß gab, mein kleines
Gehirn aufzuhellen, und mich in Dingen zu unterrichten, die er für mich nüzlich hielt;
so schön und ehrfurchtsvoll er von seinem väterlichen Haus sprach, so stumm war
er über die früheren Verhältniße seines Vaters und Großvaters. Erst als ich schon
bedeutend herangewachsen war, hörte ich von meinen Eltern, die über ihre beiden
Mütter gleiche Klage führten, daß deren gemeinschaftlicher Grosvater, nicht Graß,
sondern Fabrice geheißen habe, und Landdrost in Hanover gewesen sei. Dies fiel mir,
wie natürlich sehr auf, und ich frug nach der Ursache des Geheimhaltens dießer Sache?
Man antwortete mir: es rühre wohl von dem damals herschenden Vorurtheil her: Daß
Jeder nur dann sich für etwas in der Welt zu gelten hält, der seinen Adlichen Nahmen
bis wenigsten ins 14te und 15te Jahr Hundert zu führen wiße, welches wohl hier der Fall
nicht sein müße. Übrigens möchte ich gegen den Oheim und jeden hiervon schweigen.
Ich werde, da mein verstorbner Mann, die Sache zu untersuchen für nöthig fand, in der
Folge wieder darauf zurück kommen.
Ich sagte auf dem lezten Blatt, daß drei Söhne eines
Hanöverischen Staatsdieners in der Gegend ankamen, daß die beiden ältesten Graß,
der jüngste ein Guth in Staufenberg, kaufte. Bald nachher kam auch noch eine Schwester
dießer Brüder, die ebenfals den Nahmen von Graß annahm. Die Neuangekommnen,
erwarben sich bald die Achtung der Umgegend, und die beiden Ältesten fanden eine
freundliche Aufnahme, in dem Hause des Freyherrn von Brambach, der Oberamtmann in
Bingenheim war, und sich die Liebe der ganzen Wetterau, durch seine Gerechtigkeitspflege
und die Menschlichkeit / abgerechnet des Zeitgeistes / womit er mehrere Hexen Prozesse
geführt hatte, erwarb. Der Freyherr hatte 2 Töchter zu deren Verbindung mit den beiden
Brüder er bald den väterlichen Seegen ertheilte: Apolonie die Älteste machte durch Geist,
Herz, und Körper, unßern braven, und kräftigen Urvater, zu einem glücklichen Mann. Sie gebahr
ihm 6 Kinder, wovon Friderich der älteste 14 Jahr alt, allgemein wegen seinen Anlagen, und
Schönheit bedauert, starb. Ferdinand Wilhelm, zulezt Waldeckischer Hofmarschall. Friderich
Leopold, Holländischer General. Albertine, vermählte von Drachstädt, Henriette, vermählte du
Bos du Thil. Marie Luise vermählte von Günderrode. Zu allen dießen kehre ich in der Folge
wieder zurück.
Nicht so glücklich war der andre Bruder: Brigitte war eine wahre Furie, die in der Bosheit, ihren
nur zu sanften Gatten, sich und ihre Kinder verfluchte. Sie vervortheilte ihren Schwager und
Schwester wo sie konnte, und nahm was sie fand. Ihren Gemahl peinigte sie so, daß er oft Tage
lang weg gieng, einst fand man ihn an einer Weide am Teig [= Teich] zu Echzel erstart im Schnee
sizen. Von jetzt an haußte Brigitte noch ohnumschränkter auf ihren Antheil von Graß. Sie verpfändete
einmal einen Acker, und als die Leute, die darauf ausgesaet hatten, Früchte abschneiden wollten,
stand sie mit einer Sense bewafnet vor denselben, und rief: wer mit seiner Sichel nur einen Halm
abschneidet, dem haue ich, Holt mich der Teufel, den Kopf ab! Da sie wie dießer über all gescheut
wurde, so giengen die Leute weg. - Ihr ältester Sohn kam nach Darmstadt, wurde ein Liebling des
Landgrafen Ernst Ludwig, hinter gieng aber dießen, damit, daß er ihm ein Verhältnis mit einer Frl: v.
Speitel, aus Geisnidda, welches er ihm, wegen anderer Absichten mit ihm, verbothen hatte, läugnete,
ohngeachtet der Landgraf schon wußte, daß H: v. Speitel, ihn mit der Pistole in der Hand genöthigt
hatte, seine durch ihn unglücklich gewordne Tochter
zu ehlichen. Der Landgraf überführte ihn, gab ihm den Abschied, und er durfte sich nie wieder in D:
sehen laßen. Er starb nach geraumer Zeit auf dem Güthchen seiner Frau. Seine Tochter starb
wahnsinnig aus Liebe zu einem Hern von Krug von Nidda erst vor 50 Jahren in Ulf. [?] . Der 2te Sohn
Brigittens, kam früh nach Berlin in Kriegsdienste, er starb geachtet als Hauptmann, noch kaum 36 jahr
alt. Die beiden jüngsten waren vollkomen der Mutter ähnlich sie hatten noch eine Untugend mehr: den
Trunk. Um einige Kannen Brandwein verkauften sie in der Folge einen der größten Eichstämme, und
wo ihr Antheil nicht zureichte, griffen sie zu dem ihres Vettern, dessen Eltern todt, und er abweßend
war. Halb Inheiden soll von dem Berg gebaut worden sein. Eben so wurden die Steine des Kirchthurms
vergeutet. Sie starben wie ihre Mutter auf die elendeste Art, nach dem ihnen ihr Vetter Ferdinand Wilhelm
die andre Helfte des Guthes abgekauft hatte. Doch genug von ihnen.
Der jüngere Bruder in Staufenberg war 2mal vermählt, ob aber die 1te, oder 2te seiner Frauen eine
von Steinwürth war, weiß ich nicht bestimmt. Der Nahme der Andren ist mir entfallen. Von ihm
stammen die jezige noch lebenden Herrn von Graß ab.
Die aus Hanover gekommne Schwester der drei Brüder, vermählte sich an einen Herrn von Wallenheim,
der Darmstädtische Lehn besaß, Wittwer war, und 2 Töchter hatte, wovon die Älteste einen Baron Wilke
heirathete, die jüngste aber einen Patrizier der ehemaligen Reichsstadt Mühlhaußen, einen Herrn von Stiller.
Dieße starb erst im Jahr 1754. In ihrem Testament, ernannte sie alle Kinder des H: Jesaias von Graß zu
Erben ihres nicht ganz ohnbeträgtlichen [= unbeträchtlichen] Vermögens, daß durch die Zersplitterung, für
die Einzeln nicht beträgtlich wurde. Mein seel: Vater wurde von der Familie mit einer Instruction des alten
Herrn v. du Thils hingesendet, um die Erbschaft im Empfang zu nehmen. Meine Mutter und ihre Geschwister
bekamen nichts weil ihre Mutter schon todt war, im Testament war dießes Falles nicht gedacht.
Fr: v: Wallenheim bekam 2 Kinder. Der Sohn wurde bei denen Darmstädtischen Kreistruppen in der Folge
General. Er war berühmt durch seinen Muth, sehr derben Witz und Sonderbarkeit, die schuld war, daß er
nicht heirathete. Er fiel in dem Krieg in den Vierzigen des vorigen Jahrhunderts in den Linnien vor Phillipsburg
mit ihm erlosch sein Nahme. Die Tochter welche Hofdame in Homburg war, vermählte sich dort mit einem
Östreichischen Officier einem Graf Villio; Sie gieng mit ihm nach Verona, kam aber als Wittwe, und Mutter
von 2 Töchtern in nicht günstigen Glücksumständen zurück, als Folge dessen, daß sie keinen Sohn hatte.
Die Älteste, hat meine Tochter als Kind, in Graß gesehen. Die Jüngere war an den Oheim des H: Oberforstmeisters
von Prelleck vermählt, starb aber kinderlos.
Ich komme nun wieder zu dem Ältesten H: v: Graß zurück. Seine Häusliche Verhältnisse wurde oft durch
Brigittens Benehmen getrübt. Auch die Erziehung seiner Kinder machte ihm viele Sorge, weil er in Graß keine
Gelegenheit hatte, ihnen Unterricht geben zu laßen. Der Älteste Sohn Ferdinand Wilhelm, kam früh als Page
nach Kassel, der Jüngere Friderich Leopold, wurde noch früher wegen seiner Wildheit, in die strenge Aufsicht
des Abts nach Kloster Bergen gethan. Albertine wurde HofDame hier bei der verwittweten Landgräfin, der Mutter
Ernst Ludwigs. Henriette kam nach Homburg,
als HofDame, und Marie Luise nach Büdingen.
Eine frühere Begebenheit hatte die Aufmerksamkeit Ferdinands und Albertinens erregt. Es war ein zimlich langer
Auffenthalt eines Herzogs von Lüneburg in Graß, der in der jezigen Gesinde Stube wohnte. Die Ureltern behandelten
ihn mit vieler Ehrfurcht; aber über die Ursache seines Daseins beobachteten sie ein tiefes Schweigen, welches sie
auch nie gebrochen haben.
Die Ureltern wurden alt, der Vater besonders; Er hatte die Gesinde Stube sich zulezt ganz nach gefallen eingerichtet.
Vor das Fenster nach dem Thor, hatte er einen Schreibtisch in die Quer angebracht, so daß er dießes Fenster zur
Linken hatte. Auf dem Tisch lag neben denen Papier eine große Bibel. Hier schlich er zu jeder Jahrszeit morgens
um 4 Uhr in seinen Schlafrock gehüllt hin, und betete. Das geschah auch einmal an einem Wintermorgen. Er schließt
die Thüre mit dem Licht in der Hand auf, und welch ein Schrecken überfällt ihn; er sizt schon da, eifrig in der Bibel
leßend, die er Tags zuvor zugemacht hatte! Er eilt zu seiner Frau zurück, der er sagt das Zimmer sei noch zu kalt
gewesen; nach einer halben Stunde geht er zurück und findet
die Bibel noch aufgeschlagen, und folgende Stelle gezeichnet Jesaias 26. V: 20. Von dem an sah er bleich aus, sein
Gruß [?] war ernster und feierlicher. Seine Frau drang in ihn, und er gestand ihr endlich was ihm begegnet sei. Ich
laße es dahin gestellt sein, ob dieße Erscheinung außer, oder in ihm lag, kurz er nahm jeden Tag an Kräften ab, und
verschied sanft nach wenigen Monaten. - Die Urmutter folgte ihm bald nach.
Ferdinand Wilhelm übernahm nun jetzt das Guth /er war damals schon Officier bei der Garde zu Kassel/ zahlte dem
Bruder 1900 Fr. [?] heraus /was er denen Schwestern gab, habe ich nie erfahren. In der Folge nahm er Geld auf um
die andre Helfte des Guthes von seinen Vetter zu kaufen. Wie hoch dieße Summe sich belief, weiß ich nicht. - Wegen
seiner Schönheit, und Liebenswürdigkeit, wurde er bald der Liebling der Damen, und machte als er Hauptmann wurde,
die Bekanntschaft, der sehr schönen, und reichen Fräulein Luise Ullerike von Metsch, deren Vater schon todt, aber
Minister in Braunschweig war. Der Mutter und denen Brüder war
dießer in jeder Hinsicht unbedeutende Freier ein Dorn im Auge. Das Fräulein hingegen dachte sich keine größere
Seelichkeit als die Seine zu werden. Es kam zu heftigen Szenen in der Familie, da tratt die Älteste Tochter, vermählt
an den Schwedischen Obristen Graf Wachtmeister, auf, und nahm sich der Liebenden an. Nach unsäglicher Mühe,
Angst und Kummer wurden sie ein Paar. Der Glückliche führte seine schöne Braut mit 24.000 Thlr: und einer reichlichen
Aussteuer sonst noch, nach Kassel. Bald wurde sein Glück noch, durch die Hofnung Vater zu werden gesteigert, dießer
Zeitpunkt rückte näher; man kam überein, daß die junge Frau ihre Niederkunft in Braunschweig bei der Mutter halten
sollte, ihr Gemahl begleitete sie hin, er konnte aber wegen Dienst-Geschäfte nicht bleiben, und er empfahl sie der
Vorsorge der Mutter, /Leider war die Gräfin Wachtmeister nach Schweden gereist/. 14 Tage vor der Niederkunft
überfällt die Arme eine tödliche Krankheit, die sie in 5 Tagen /also ehe er bei ihr sein konnte/
dahin raft. Der Arzt bemerkt an dem entseelten Leichnam, noch Spuren vom Leben des Kindes, er trägt auf eine
Operation an, die die Mutter verwirft. Der ehrliche Mann erklärt, daß es Sache seines Gewißens sei. Die schreckliche
Mutter dagegen /die nur zu gut wußte wie viel ein einziger Schrei des Kindes sie kosten würde/ daß sie alles auf ihr
gewißen nähm. Es unterblieb, und der Unglückliche traf nicht eine Spur mehr, von dem was ihm so lieb war, bei
seiner Ankunft an.
Kaum waren einige Wochen verfloßen, so foderte Fr: v: Metsch das ganze Mitgift ihrer Tochter zurück. Es kam da
der G: Oheim sich weigerte zur Klage! Jetzt tratt Gräfin Wachtmeister wieder dazwischen: er behielt 6000 Thl: und
das Mobiliair. Noch fanden sich viele Briefe von ihr nach seinem Todte, die aber sein Bruder verbrannte. Er kam nach
her als Hofmarschal nach Waldeck, in höherem Alter zog er sich nach Graß zurück, wo ich mir als Kind erinnere,
einiges gehört zu haben, wobei ihm wenn er erzählte, die Thränen ins Auge tratten. Er starb auf einem Besuch a
1771 in Staufenberg.
Friderich Leopold hatte in Klosterbergen seine Zeit sehr gut angewendet. Er kam nach her in Diensten als Fähndrich
zu dem lezen [= letzten] Grafen von Hanau, und als dießer starb, zum dem Grosvater des jezigen Gros Herzogs von
Weimar, wo er es durch seinen Verstand und Benehmen, sehr bald bis zum Mayor brachte. Hier brach der Krieg in
Schlesien aus; Friderichs Thaten begeisterten ihn; er gieng als Volontair zu dessen Armee, zeichnete sich aus, dem
König war dies nicht entgangen und er bot ihm eine Compagnie an, doch da ihm in denselben Tagen vom Fürsten von
Waldeck, eine Mayorsstelle, bei dessen für Holland errichteten Regimentern angetragen wurde, so wählte er nach
einem harten Kampf mit sich selbst /denn seine Seele hieng am König/ das Lezte. Er bekam gleich volle Arbeit gegen
die Franzosen, wurde jedoch nie verwundet, brachte es zum General, lebte die lezten Jahre in Graß, wo er 1775 starb.
Sein Vermögen verdankte er seiner Sparsamkeit und einigen günstigen Gelegenheiten, die der Krieg herbei führte. Ihm
verdanke ich das erste Aufhellen meines Kopfs.
Albertine hatte wieder den Willen ihrer Verwandten den H: v: Drachstädt gewählt. Er hatte kein Vermögen, aber viel
Leichtsinn, welcher schuld war, daß sie in Graß wo sie der älteste Bruder aufnahm, im Elend gestorben ist. Sie ertrug
schweigend ihr selbst gewähltes Elend. Sie hatte eine Zwistigkeit mit ihrem Manne, der sie nach dem Tode des Prinzen
Heinrich hier, wo er in Diensten bei war verlaßen mußte um Brod zu suchen. Er ist in Diensten des Grafen von Neuwied
dort gestorben. Ihre 6 Kinder waren der Holländische General von Drachstädt. Der 2. war Oberforstmeister in Braunschweig.
Der 3. wollte nach manchen lustigen Streichen nach Indien; Hier aber ist seine Spur verlohren gegangen. Die älteste
Tochter war die Eh-Gemahlin des Herrn Oberjägermeisters von Roeder. Die 2te starb hier ledig. Die 3te ist meine Mutter.
Über Henrietten, vermählte du Bos du Thil brauche ich nichts zu sagen, als daß sie sanft, gut, und glücklich war. Marie Luise
hatte nicht reich aber in Ansehung des Herzens sehr glücklich in der Person des Herrn von Günderrode gewählt. Leider starb
er nur zu früh, ihm giengen 3 Kinder voran, und 2 Söhne blieben ihr nach seinem
Todt. Karl der älteste, brachte es im 26ten jahr schon bis zum Hauptmann in östreichischen Diensten, starb aber bald nach
her an einer Krankheit, als Bräutigam mit der Tochter des Landhauptmanns von Jägerndorf Graf von Orlix. Der 2te Sohn
Marie Luisens, war mein Vater.
Nach meiner Verheiratung untersuchte mein Vater, und mein Mann, die noch vorhandnen Papiere, denn viele hatte der
General von Graß vernichtet. Es fand sich dabei ein wunderbarer Stammbaum, worinnen der Urvater in die Familie eines
H: v: Graess in Westphalen verpflanzt war; und dießem nach hätte der Hofmarschall von Graß es nicht allein zu 32 Ahnen,
sondern noch zur Gabelung gebracht. Inzwischen fanden sich noch Fragmente von Briefen nach welchen der Gros Oheim
mit dießen H: v: Graess in Unterhandlungen gestanden, daß er ihm so gar Geld gegeben hatte, denn dießer Mann von
uraltem Adel war in seinen Glücksumständen sehr herunter gekommen. Es fand sich auch noch daß Änderungen mit
dem Wappen vorgegangen
waren, kurz daß hier ein willkührliches Zusammenstellen stattgefunden hatte. Mein Mann spürte nun auf andrer Seite
weiter nach, und es wurde nun gewiß was ich oben schon sagte: daß die Familie Fabrice, oder Fabrize sich geschrieben
hatte; daß noch ein Bruder in Hanover mußte zurück geblieben sein, der den Nahmen beibehalten hatte, von dem die
unglückliche Julie von Fabrice vermählt an den jezigen Staats Minister Grafen v: Wintzieroda, in gerader Linie abstammte.
Von der Annahme des Nahmens v. Graß, war kein Buchstaben zu finden, eben so wenig ein Adelsbrief. Alles war vernichtet.
So weit meine Nachrichten
Butzbach den 22ten Septbr
1818. Luise von Günderrode
Einige Notizen über Graß!
Die erste Merkwürdigkeit daselbst ist: der berühmte Pol, oder Pfahlgraben, welcher auf der Westseite die Grenze
gegen das Solmsische macht. Wahrscheinlich bildete er hier die innere Linie, die eben so wie die Äußre, die sich vom
Altkönig bis Alsfeld erstreckt, in Verbindung mit den Taunus stand. Hier ist ihre Spur nach Süden, von der Horlof an,
verlohren gegangen, nach Norden aber, kann man dieße ungeheure römische Befestigung noch bis Felde im Vogelsberg
verfolgen. Oft erzählte mir mein Grosoheim, der General von Graß, daß in seiner Jugend ein(e) Sage unter uralten Leuten
gegangen sei, die sie von ihren Urvätern erhalten hätten: daß da, wo auf der Höhe, der Weg nach Hungen geht, und wo
in der Mitte ein ganz kleiner Erdhaufe noch jetzt aufgeschichtet steht, große eißerne Thore geweßen seien, die sich an
die Verschanzungen angelehnt hätten, und wovon zu ihren Zeiten, noch unter der ersten Erdschüchte Mauerwerk geweßen
sei. Ist
dieße Sage gegründet, so dienten dieße Thore wohl zur leichteren Verbindung mit der äußren Linie, die sich durch die
hiesige Gemarkung zieht. - Unter der ersten Eiche fand mein Vater einmal eine ohnbedeutende römische Kupfermünze,
welche die Schweine heraus gewühlt hatten. An der Rüthmühle aber jenseits der Horlof ackerten Bauern in die Vierzigen
des vorigen Jahrhunderts, Urnen, und eine Toden Lampe aus; die Anzeige hievon gieng nach Laubach, und H: Carl
Justinian v: Günderrode, der damals dort Hofmeister war, erhielt vom Grafen die Untersuchung. Er lies lange Graben
fand aber wenig von Belang. Verdrüßlich hierüber stand er einst, so erzählte der alte Mann mir selbst, auf seinen Stock
gestüzt, dicht neben der Mühle, und habe dem Graben mit zugesehen. Der Fuß mit dem etwas hohen Absaz war ein
wenig in den Moorboden eingesunken, so daß es ihn Mühe kostete ihn heraus zu ziehen; es gelang ihm, und er sieht wo
sein Absaz stak, etwas glänzen, und O! welche Freude! er hebt eine römische, sehr schön erhaltne Goldmünze, ich weiß
nicht mehr, aus welcher Zeit, auf, nach innerem Werth einen Ducaten schwer. Der Graf verehrte sie ihm. Sein Enkel Karl
/Eduards Stief Bruder/ hat sie noch gehabt.
Die ist alles was ich aus jenem Zeitalter von
Graß und seinen Umgebungen gesammelt habe.
Noch eine Merkwürdigkeit, aus einer weit späteren Zeit ist auf dem nahgelegenen Berg, bei dem Graßer Hof. Auf der
Spize desselben sieht man noch spärliche Überreste des Nonnen Klosters St: Ciriax: Es waren dieße Nonnen von Orden
der Cisterzienser, und standen Höchstwahrscheinlich unter dem Abt zu Rommersdorf, wie das kürzlich aufgehobne Kloster
zu Altenberg. Ihr Schirmvogt war der Freyherr von Engelhuysen, welcher seine Burg, Dorf und Liegenschaften von gleichen
Nahmen, da hatte, wo jetzt der Hunger Thiergarten, an den Heken Wald stößt.
Das Kloster war auf der Nord und West Seite, mit dichtem Gehölz umgeben, auf der nordöstlichen lag die Meyerei, der
jezige Hof. Durch das Dükigt [= Dickicht] des Waldes, in welchem sich immer Räuber aufhielten, schlängelte sich ein schmaler
Pfadt unter dem Berg her, der auf einen Steeg über die Horlof stieß; von da bis zu Heerstraße nach Frankfurt, aus dem nördlichen Teutschland, waren nur wenige Schritte. Auf dießem Weg überfielen Räuberbanden die zur Messe reisende Kaufleute,
mordeten,
und plünder-
ten sie rein aus, und verbargen dann ihren Raub in den Mauern des Klosters, wo sie dann denen frommen Schwestern
für die gütige Aufnahme desselben, den ihnen für dieße Gefälligkeit, gebührenden Theil, abtratten. Lange wurde dießer
Vrefel ohngestraft getrieben, bis endlich, die Kaufleute der Hansa so glücklich waren, mit ihren Klagen, bis zu dem Heiligen
Stuhl nach Rom zu gelangen. Der Pabst höchlich erbittert über das sträfliche Benehmen der Schwesterschaft von St: Ciriax,
gab jetzt ein warnendes Beispiel, wie er Verbrechen dießer Art zu rächen verstehe. Das Kloster wurde aufgehoben, um
die erste Helfte des Zeitraums zwischen dem Religions, und 30jährigen Kriege. Was aus der Schwesterschaft geworden,
ist mir nicht bekannt, wahrscheinlich mußten sie noch harte körperliche Büßungen leiden. Frommer Aberglaube ließ sie,
als ich noch Kind war, als weiße Schatten, um ihre verödete Wohnung schweben, und oft wurde ich von unßren Leuten
gewarnt, meine Abend Promenaden, mit meiner alten Kaze um den Hals, nicht zu tief in die Nacht auszudehnen.
Inzwischen drang früh von dießem Glaube bis an den Hof nach Darmstadt! Landgraf Ernst Ludwig lies Anfangs des
vorigen jahr Hunderts nach graben, und sendete
einen blinden Geisterbanner nach Graß, der sein Weßen in dem kleinen Keller trieb, der in Verbindung mit der
Speiskammer stand, damals im Hof aber seinen Ausgang hatte. Die Schaz-Gräber fanden nichts, es hatte ihr
Wühlen in der Erde, nur den Rest der Ruinen noch gebrechlicher gemacht; und kein Geist lies sich im Keller
sehen, ohngeachtet der Blinde versicherte, er sehe deutlich ihn, unßren Urvater umschweben, und sich demüthig
vor ihm beugen. Verspottet und verlacht, aber vom Hofe wohl bezahlt, zogen sie nach einem 3Monatlichen Auffenthalt
ab. Von daher rühren noch die großen Vertiefungen auf dem Berg, der früher zimlich gleich war, und sich nur sehr
mählig nach dem Thälchen senkte. - Jedoch trug noch zum völligen Verfall des Kloster Kirchthurms, wovon über die
Helfte noch um das Jahr 1718 stand, die Abweßenheit meines Grosoheims des Hofmarschalls von Graß bei, der
damals noch nicht alleiniger Besizer von Graß war, und dessen Vettern welche noch die Helfte des Guthes besaßen,
keine Haushälter waren, so veräußerten sie um ein geringes Geld die schönen Eichen des damals noch dichten Waldes,
und ließen Jedem der wollte, Steine vom Thurm brechen.
Ohne dieße gewaltsame Operationen müßte jetzt noch ein Theil desselben stehen.
Ich kehre wieder zum Schirmvogt von St: Ciriax dem Freyherrn von Engelhuysen zurück. Seiner wird in Documenten
die in der Kanzelei in Hungen lagen, gedacht. Im 30jährigen Krieg verliehrt sich sein Nahme, und die Familie scheint
bei der Plünderung und Brand seiner Besizung zu Grund gegangen zu sein. Ob er [Einschub am Rand: oder wahrscheinlich
sein Vater] von dem Treiben seiner Schuzbefohlnen etwas wußte, oder vielleicht gar seinen Arm dazu bot, dies weiß ich
nicht; es sieht wenigstens dem Geist der damaligen Zeit nicht unähnlich. Da die Grafen von Solms den Thiergarten, nebst
noch mehrern Liegenschaften die die Familie besaß als Domaine an sich gezogen haben, so scheint er ein Lehnsmann
derselben geweßen zu sein. - Ein alter Jäger aus Hungen, der von seinem Grosvater erzogen war, und der ihn von dießen
Sachen manches erzählt hatte, führte mich als 12jähriges Mädchen an den Ort, wo ehemals Engelhuysen stand. Übiges
[= Üppiges] Moos, hatte die noch wenige aus der Erde hervorragende große Steine bedeckt; jetzt sieht man vielleicht
keine Spur mehr davon, weil durch das Abfallen des Laubes, der großen umherstehenden Eichen, sich über dieselben
eine Erdschüchte gebildet hat. Der alte Jäger nannte den
Thiergarten, und Teig [= Teich] noch immer: den Engelhuyser Wald und See.
Welche Verhältniße zwischen Kur Trier, und Darmstadt in Ansehung des aufgehob[n]en Klosters eintratten, ist mir
nicht bekannt; eben so wenig, ob die Freyherrn Rau zu Holtzhaußen, das Guth dem Hofe zu Darmstadt abkauften,
und dann von Trier, mit dem Berg, der Marktgerechtigkeit, und dem Zehenten auf 250 Morgen, belehnt wurden,
oder ob es schon früher in andern Händen war. Nur das weiß ich bestimmt daß in der zweiten Helfte des 17ten
Jahrhunderts, 3 Söhne eines angesehnen Staatsdieners von Hanover in die Gegend kamen. Die beiden Ältesten
kauften Graß dem Freyherrn von Rau ab, der jün[g]ste siedelte sich in Staufenberg an. Sie führten von den
Augenblick des abgeschloßnen Kaufes, den Nahmen von Graß; der Älteste Jesaias, ist unßer Urvater mütterlicher
Seite.
Die Quellen aus welchen ich Obiges schöpfte, sind: der Grosoheim General von Graß; meine Eltern; der Beamte
in Hungen; der alte Jäger Phillip Wenzel; und ein alter Bierbrauer aus Inheiden. Freilich sind dieße nicht ganz
authentisch, da sie aber
alle mit einander übereinstimmten, so erhielten sie einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit in meinen Augen.
Sie beschäftigten meinen damals noch kleinen Kopf auserordentlich, und haben sich desfals meinem
Gedächtnis so tief eingeprägt.
Luise von Günderrode

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Titel
Beschreibung
Hochgeladen 2011-12-15 10:41:58.0
Einsender user's avatar Eike Schößler
E-Mail eike.schoessler@t-online.de
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